TAGEBUCH KOPENHAGEN (5): Performance und Archiv

Sonntag, 24. August 2008 von kantonsbibliothek

Fortsetzung: 22. August 2008

Während des Panels von Heike Roms „Archival Events and Eventful Archives / Ereignisse im und um das Archiv und Archive, die zum Ereigniss werden“, an dem Johannes Lothar Schröder, Paul Clarke und Mike Pearson teilnahmen, wurde die Frage nach dem Verbleib und dem Erhalt von Performance Relikten sowie ihrem Stellenwert in Bezug auf die Vergänglichkeit von Aktionen gestellt. Wie die Zeitlichkeit von Aktionen im Archiv gesammelt und zugänglich gemacht werden könnte, war eine der zentralen Fragen.

Mike Pearson unterschied Aufzeichnungen und Objekte aus der Phase der Vorbereitung einer Performance, die einen „utopischen“ Charakter haben, von Medien und anderen Hinterlassenschaften von Aktionen aus der Phase während und nach der Performance. Als Dokumente können sie „politisch oder autoritativ“ eingesetzt werden.
Paul Clarke fragte mit Bezug auf Calvinos Invisible Cities nach der Zukunft der Vergangenheit. Kann ein vergangenes Ereignis als Performance ein relevanter Beitrag für die Gestaltung des Kommenden werden? Als ein Beispiel dafür, wie sich Wissen außer in Relikten im Körper ablagert, nannte er die Haut der britischen Künstlerin Kira O`Reilly, welche die Lagen von Ritzungen aus ihren Performances gleich einem Palimpsest eingelagert hat.
Heike Roms, die dieses Jahr eine Geschichte der Performance Art in Wales seit 1968 herausgegeben und diese durch Sammeln von Zeugnissen in Britischen Archiven und zahlreichen Interviews zusammengetragen hat, stellte die Frage nach der Evidenz, die durch ein Archiv geschaffen werden kann. Kann die Erzählung und das körperlich vorhandene Wissen eine Aktion belegen, oder werden die Aktion und das gesprochene Wort durch Einlagerung in ein Archiv glaubwürdig? Wird das Archivmaterial am Ende aussagekräftiger als die Aktion selbst? Es hängt wahrscheinlich von den einzelnen Performances ab. Dazu brachte Mike Pearson ein Beispiel aus dem Fernseharchiv, wo sich das einzige erhaltene Footage von einer Performance der Gruppe Brith Gof auffinden ließ. Seinerzeit hatte man die Gruppe gebeten, eine markante Stelle aus RAT Nancy für ein Kamera-Team aufzuführen, damit die Performance im Fernsehen angekündigt werden konnte. Gerade dieses Stück, das kein Life-Publikum je gesehen hatte, ist heute der Beleg für die viel längere Aufführung. Das Nichtauthentische wird, wie Johannes Lothar Schröder mit dem Foto des Auftritts von Hugo Ball nachweist, das nicht im Cabaret Voltaire, sondern im Fotostudio entstanden ist, zum aussagekräftigen bildlichen Nachweis des Ephemeren, weshalb Performances anders als das Theater nicht an bestimmte Spielorte, sondern an den Fortschritt der Medien gekoppelt sind. Das Transitorische, das die Kunstwerke von ihren Orten entrückt hat, wird schließlich erst durch eine neue transitorische Erfahrung, also durch eine Aktion wieder verortet, und zwar durch die Aktivität der Menschen, die Rauschhaftigkeit und die Unrast des Flanierens.


Beitrag von Johannes

Text: Johannes Lothar Schröder, Kunsthistoriker, Hamburg

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